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Ein lufthängender Brief aus Diessbach bei Büren a/Aare

Der sog. Lufthängende Brief aus Diessbach b. Büren (Foto zvg)

Vor Jahresfrist konnte ich bei einem Antiquitätenhändler einen sogenannten lufthangenden oder luftschwebenden Brief erwerben. Dieser Brief stammt aus einem alten Bauernhaus in Diessbach. Er kam dort in einem Geheimfach zum Vorschein.

Solche Briefe gab es früher in vielen Häusern, nur stimmten sie nicht immer wörtlich überein. Beim Abschreiben konnten sehr leicht Fehler unterlaufen und Eiferer liessen sich verleiten, Zusätze und Erweiterungen anzubringen. Es gibt auch Exemplare, die als Einleitung umständliche Berichte über die Wundertätigkeit des Briefes enthalten. Ihre Verbreitung geht weit über die Schweiz, ja über die Grenzen Europas hinaus. Hierorts waren es sogenannte „Krätzner“ (Hausierer), die aus dem süddeutschen Raum kamen und in unserer Gegend solche Briefe verkauften.

Zweck dieser Briefe war ursprünglich, für die strikte Sonntagsheiligung Propaganda zu machen, wie aus dem Text deutlich hervorgeht. Ferner sollte er die Inhaber vor Blitz, Feuer und Wassernot schützen. Ebenso bewahrte er angeblich die Soldaten im Krieg vor Mord und Todschlag. Auch bei schwierigen Geburten sollte er hilfreich sein.

Das mir aus Diessbach zugefallene Dokument stammt aus dem Jahre 1863 und weist folgenden Inhalt auf:
„Wahrhaftige Beschreibung eines Brief’s so von Gott selber geschrieben und zu Magdeburg in der Luft schwebend und hinabfallen lassen, also, dass niemand wissen konnte wo es geschehen ist. Mit goldenen Buchstaben geschrieben und von Gott durch einen Engel gesandt. Welcher ihn verachtet, den verflucht der Herr.

Ich der Herr gebiete Euch, dass ihr am Sonntag nicht sollet arbeiten, sondern mit Andacht fleissig in die Kirchen gehen und fleissig Bätten, aber verändert das Angesicht nicht und geschminket nichts. Ihr sollt auch nicht fremde Haare tragen und Hoffart damit treiben. Von Eurem Reichtum sollet ihr den Armen geben und glauben, dass dieser Brief mit göttlicher Hand geschrieben und von Christo aufgesetzt, auf dass ihr nicht tuet wie das unvernünftige Vieh. Ihr habt sechs Tage in der Woche, darin ihr sollt Eure Arbeit verrichten, aber den Sonntag als den siebenten sollt ihr heiligen.

Wollet ihr das nicht tun, so will ich Krieg, Hunger und Pestilenz über Euch schicken und Euch mit vielen Plagen strafen, dass ihr es fühlen sollt. Euch gebiete ich, dass ihr am Samstag nicht so lange sollet arbeiten, am Sonntag früh in die Kirche gehen, es sei alt oder jung, Eure Sünden beweinen, dass sie Euch können vergeben werden.

Begehret nicht Silber oder Gold. Treibet nicht Mutwillen oder Bosheit, seid nicht hoffärtig, habt keine weltliche Lust und Begierde. Gedenket, dass ich Euch gemacht habe und wieder zerschmettern kann. Keiner rede dem Nächsten Böses nach, freue Dich nicht, wenn Dein Nächster arm wird, sondern habe Mitleide mit ihm.
Ihr Kinder ehret Vater und Mutter so wird es Euch wohl ergehen. Wer das nicht glaubet, der ist ewig verdammt und verloren. Ich, Jesus Christus hab’s geschrieben, wer widerspricht und von mir ablasst, derselbe Mensch soll nimmer mehr Hülf von mir zu gewarten haben. Wer den Brief hat und ihn nicht offenbaret, der ist verflucht von der Christenheit und von meiner Allmächtigkeit. Er soll den Brief jedermann zeigen und zum Abschreiben geben, wer ihn begehret. Wenn Eure Sünden gleich noch so viel wären wie Sand am Meer, sollen sie Euch vergeben werden. Ich werde Euch am Jüngsten Tag fragen und ihr werdet wegen Euren Sünden nicht können antworten. Welcher Mensch diesen Brief liest und bei ihm tragt oder zu Hause hat, den wird kein Wetter oder Donnerschlag schaden, vor Feuer oder Wasser wird er sicher sein. Welcher diesen Brief bei sich trägt und den Menschen wieder offenbahret, der wird einen guten Abschied aus dieser Welt empfangen! Haltet meine Worte, die ich gegeben habe und durch meinen Engel gesandt.
Wahrer Gott vom Himmel, Jesus Christus, der Maria Sohn dem Geist zu gleicher Weis dem sei Ehr, Lob und Preis.

ANNA MARIA LIECHTI. 1863“.


Nachtrag

Der Brief ist in der alten, deutschen Kurrentschrift verfasst. Ich habe ihn in die heute übliche und für jedermann lesbare Schrift transkribiert.
Anna Maria Liechti wurde am 1. Juni 1836 in Leimiswil geboren. Bereits am 3. Februar 1854 heiratete sie 18-jährig den Diessbacher-Burger Bendicht Schneider (1827-1879), Sohn des Andreas Schneider (1792-1860), genannt „Burresen“.
Das Ehepaar Bendicht Schneider und Anna Maria Liechti bewirtschaftete das Heimwesen im oberen Viehweg in Diessbach. Sie hatten zwei Kinder, Elisabeth, geb. 1855 und Maria, geb. 1857. Elisabeth heiratete 1879 Niklaus Eberhard, von Schnottwil, Müller in Diessbach. Diese beiden waren nun Inhaber des Bauernhofes im oberen Viehweg.
Die zweite Tochter, Maria, heiratete 1878 Gottfried Arn, von Büetigen. Ihr Sohn Ernst war der spätere Sektionschef Ernst Arn-Nobs und eine gewisse Zeit Kirchgemeindepräsident in Diessbach.
Die Eigentümerin des vorstehenden Briefes, Anna Maria Schneider-Liechti war seit 1879 Witfrau. Sie genoss einen schönen Lebensabend im Hof am oberen Viehweg in Diessbach und wurde von den Angehörigen und Bekannten liebevoll „Müetterli“ genannt. Sie verstarb am 12. März 1915.
Es ist durchaus möglich, dass in unserer Gegend noch weitere solche Briefe aufbewahrt werden.
Gerne nehme ich entsprechende Hinweise entgegen.

Peter Schneider, Diessbach b. Büren

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